Das GNU-Manifest

Von Richard M. Stallman

Deutsche Übersetzung: Peter Gerwinski

Den offiziellen englischen Originaltext finden Sie unter http://www.gnu.org/gnu/manifesto.html.

Anmerkung des Übersetzers: Dies ist eine inoffizielle Übersetzung des GNU-Manifests. Sie soll helfen, den Text zu verstehen und damit zur Verbreitung des GNU-Projekts beitragen. Der Übersetzer übernimmt jedoch keinerlei Garantie für die Richtigkeit der Übersetzung; wenn Sie in offiziellen Angelegenheiten bezug auf das GNU-Manifest nehmen wollen, halten Sie sich bitte an den englischsprachigen Originaltext.

This is an inofficial translation of the GNU Manifesto into German. The translation is intended to help people to understand the text and to help the GNU project to spread. The translator does not provide any warranty for correctness of the translation; if you intend to refer to to GNU Manifesto in official concerns, please refer to the authentic English version.

Das unten abgedruckte GNU-Manifest wurde von Richard Stallman zur Entstehungszeit des GNU-Projekts geschrieben, um zu Teilnahme und Unterstützung aufzurufen. Während der ersten Jahre wurde es geringfügig geändert, um neue Entwicklungen zu berücksichtigen, aber jetzt erscheint es uns am besten, es in der Form zu belassen, in der es die meisten Leute gesehen haben.

Seit dieser Zeit haben wir Einiges über häufige Mißverständnisse gelernt, die sich durch eine andere Wortwahl hätten vermeiden lassen. 1993 wurden Fußnoten ergänzt, um diese Punkte zu klären.

Aktuelle Informationen über verfügbare GNU-Software finden Sie auf den GNU-Webseiten, insbesondere in der Software-Liste. Wie Sie selbst beitragen können, finden Sie unter http://www.gnu.org/help.

Was ist GNU? GNU ist nicht gleich Unix!

GNU steht für „GNU ist nicht gleich Unix“ und ist der Name eines kompletten, Unix-kompatiblen Software-Systems, das ich gerade schreibe, um es dann an jeden, der es brauchen kann, frei weiterzugeben. (1) Einige andere Freiwillige unterstützen mich. Beiträge in Gestalt von Zeit, Geld, Programmen und Material werden dringend benötigt.

Bis jetzt haben wir einen Emacs-Texteditor mit Lisp, um Editorkommandos zu schreiben, einen Quelltextdebugger, einen yacc-kompatiblen Parsergenerator, einen Linker und etwa 35 Dienstprogramme. Ein Kommandointerpreter (shell) ist beinahe fertig. Ein neuer, portabler, optimierender C-Compiler hat sich selbst compiliert und könnte dieses Jahr herausgegeben werden. Anfänge zu einem Kernel existieren, aber es werden noch viele Funktionen benötigt, um Unix zu emulieren. Sobald der Kernel und der Compiler vollendet sind, wird es möglich sein, ein zur Programmentwicklung einsatzfähiges GNU-System herauszugeben. Wir werden TeX als Textsatzsystem einsetzen, aber auch an einem nroff wird gearbeitet. Auch werden wir das freie, portable X-Window-System verwenden. Danach werden wir ein portables Common Lisp hinzufügen, ein Empire-Spiel, ein Tabellenkalkulationsprogramm und hunderte anderer Dinge plus on-line-Dokumentation. Wir hoffen, schließlich alles Nützliche, was normalerweise zu einem Unix-System gehört, anbieten zu können – und mehr.

GNU wird in der Lage sein, Unix-Programme laufen zu lassen, aber es wird nicht mit Unix identisch sein. Auf der Grundlage unserer Erfahrungen mit anderen Betriebssystemen werden wir alle gebräuchlichen Verbesserungen vornehmen; insbesondere sind längere Dateinamen geplant, Datei-Versionsnummern, ein absturzsicheres Dateisystem, eventuell Dateinamen-Komplettierung, terminalunabhängige Ausgabe und schließlich ein auf Lisp basierendes Window-System, durch welches mehrere Lisp-Programme und gewöhnliche Unix-Programme ein- und denselben Bildschirm miteinander teilen können. Sowohl C als auch Lisp werden als Systemsprogrammiersprachen verfügbar sein. Für die Kommunikation beabsichtigen wir, UUCP, MIT-Chaosnet sowie die Internet-Protokolle zu unterstützen.

GNU zielt zunächst auf Maschinen der 68000/16000-Klasse mit virtuellem Speicher, weil es auf diesen am leichtesten lauffähig gemacht werden kann. Die Zusatzarbeit, es auf kleinere Maschinen zu portieren, überlassen wir jemandem, der es auf diesen verwenden will.

Um fürchterliche Verwechselungen zu vermeiden, sprechen Sie bitte auch im Englischen das „G“ in „GNU“ mit aus.

Warum ich GNU schreiben muß

Ich glaube, daß es das Gebot der Nächstenliebe verlangt, daß ich ein Programm, das mir gefällt, mit anderen teile, denen es ebenfalls gefällt. Software-Anbieter hingegen wollen die Anwender isolieren und beherrschen, wobei sie jeden Anwender dazu verpflichten, nicht mit anderen zu teilen. Ich weigere mich, die Solidarität mit anderen Anwendern in dieser Weise zu brechen. Ich kann nicht mit gutem Gewissen einen Nichtoffenbarungsvertrag oder einen Software-Lizenzvertrag unterzeichnen.

Damit ich ehrlich bleiben und trotzdem weiterhin Computer benutzen kann, habe ich mich entschlossen, eine genügend große Sammlung von freier Software zusammenzustellen, so daß ich in der Lage sein werde, ohne jegliche nicht-freie Software auszukommen. Ich habe meinen Beruf im AI lab aufgegeben, um dem MIT keinen rechtlichen Vorwand zu bieten, mich daran zu hindern, GNU weiterzugeben.

Warum GNU Unix-kompatibel sein wird

Unix ist nicht mein ideales Betriebssystem, aber es ist nicht übel. Die wesentlichen Eigenschaften von Unix scheinen gut zu sein, und ich denke, daß ich fehlendes ergänzen kann, ohne die guten Eigenschaften zu verderben. Außerdem wird ein Unix-kompatibles System für viele Menschen eher annehmbar sein.

Wie GNU erhältlich sein wird

GNU ist nicht in der public domain. Zwar wird jedem gestattet sein, GNU zu modifizieren und weiterzugeben, aber keinem Distributor wird es erlaubt sein, die Weiterverbreitung von GNU einzuschränken; sprich: proprietäre Modifikationen werden nicht erlaubt sein. Ich möchte sicherstellen, daß alle Versionen von GNU frei bleiben.

Warum viele andere Programmierer mithelfen wollen

Ich habe viele andere Programmierer gefunden, die vom GNU-Projekt begeistert sind und ihre Hilfe anbieten.

Viele Programmierer sind mit der Kommerzialisierung von Systemsoftware unzufrieden. Es mag ihnen die Möglichkeit geben, mehr Geld zu machen, aber es zwingt sie gleichzeitig, andere Programmierer im allgemeinen als Gegner anstatt als Kameraden zu betrachten. Der fundamentale Akt der Freundschaft zwischen Programmierern ist das Teilen von Programmen; derzeitige Vermarktungspraktiken verbieten Programmierern im wesentlichen, sich gegenseitig als Freunde zu behandeln. Der Käufer von Software hat die Wahl zwischen Freundschaft und Gesetzestreue. Naturgemäß entscheiden viele, daß Freundschaft für sie wichtiger ist, aber diejenigen, welche an das Gesetz glauben, haben eine schwere Entscheidung. Sie werden zynisch und betrachten Programmierung nur noch als eine Möglichkeit, Geld zu machen.

Wenn wir an und mit GNU anstelle von proprietären Programmen arbeiten, können wir gleichzeitig zu jedem gastfreundlich sein und dem Gesetz genügen. Außerdem dient GNU uns als inspirierendes Beispiel und als Banner, andere zu sammeln, um sich uns beim Teilen anzuschließen. Dies kann uns ein Gefühl der Harmonie bringen, das beim Gebrauch nicht-freier Software unmöglich wäre. Für jeden zweiten Programmierer, mit dem ich gesprochen habe, ist dies ein wichtiges Glück, das durch Geld nicht ersetzt werden kann.

Wie Sie selbst beitragen können

Ich bitte Computerhersteller um Spenden in Gestalt von Maschinen und Geld. Ich bitte Einzelpersonen um Spenden in Gestalt von Programmen und Arbeit.

Wenn Sie uns eine Maschine zur Verfügung stellen, können Sie damit rechnen, daß GNU relativ früh darauf laufen wird. Die Maschinen sollten komplette, gebrauchsfertige Systeme sein, in einer Wohnung benutzt werden können und keine außergewöhnliche Kühlung oder Energieversorgung benötigen.

Ich habe sehr viele Programmierer gefunden, die bereit sind, einen Teil ihrer Arbeitszeit GNU zu widmen. Für die meisten Projekte würde derartig verteilte Teilzeitarbeit schwer zu koordinieren sein; die voneinander unabhängig geschriebenen Teile würden nicht zusammenarbeiten. Für die spezielle Aufgabe jedoch, Unix zu ersetzen, existiert dieses Problem nicht. Ein komplettes Unix-System enthält hunderte von Dienstprogrammen, von denen jedes separat dokumentiert ist. Die meisten Schnittstellen sind durch Unix-Kompatibilität festgelegt. Wenn jeder Beteiligte einen kompatiblen Ersatz für ein Unix-Dienstprogramm schreibt und dafür sorgt, daß es an der Stelle der Originalkomponente richtig arbeitet, dann werden diese Dienstprogramme auch richtig arbeiten, wenn man sie zusammensetzt. Selbst wenn wir Murphy erlauben, ein paar unerwartete Probleme zu produzieren, sollte das Zusammensetzen dieser Komponenten eine durchführbare Aufgabe sein. (Der Kernel wird eine engere Zusammenarbeit erfordern, daher wird eine kleine Gruppe daran arbeiten.)

Sollte ich Geldspenden erhalten, werden mich diese in die Lage versetzen, ein paar Leute in Voll- oder Teilzeitarbeit einzustellen. Die Gehälter werden für den Standard von Programmierern nicht hoch sein, aber ich suche Leute, für die das Bilden von Gemeinschaftsgeist wichtiger ist als Geld zu scheffeln. Ich sehe dies als einen Weg an, es ausgewählten Leuten zu ermöglichen, ihre gesamte Energie in ihre Arbeit an GNU zu investieren, indem ich sie von der Notwendigkeit freimache, ihren Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen.

Warum dies allen Computerbenutzern nützen wird

Sobald GNU geschrieben sein wird, wird jeder in der Lage sein, gute Systemsoftware so frei wie Luft zu bekommen. (2)

Dies bedeutet mehr, als nur jedem den Preis für eine Unix-Lizenz zu erspraren. Es bedeutet, daß viele überflüssige Anstrengungen, Systemsoftware jedesmal neu zu programmieren, vermieden werden können. Dieselben Anstrengungen können stattdessen eingesetzt werden, uns auf dem Gebiet weiterzubringen.

Der komplette Quelltext des Systems wird für jeden verfügbar sein mit dem Ergebnis, daß ein Benutzer, der Veränderungen in dem System benötigt, immer die Freiheit haben wird, diese selbst vorzunehmen oder einen Programmierer oder eine Firma damit zu beauftragen. Die Benutzer werden nicht länger von der Gunst eines einzigen Programmierers oder einer einzigen Firma abhängig sein, welche den Quelltext besitzt und daher als einzige Veränderungen vornehmen kann.

Schulen können ein besseres pädagogisches Umfeld bieten, wenn sie die Schüler dazu anhalten, den Code des Betriebssystems zu studieren und zu verbessern. Das Harvard's computer lab verlangte, daß kein Programm im System installiert werden durfte, dessen Quelltext nicht öffentlich zugänglich war – und hielten dies aufrecht, indem bestimmte Programme tatsächlich nicht installiert wurden. Dies hat mich sehr inspiriert.

Und schließlich wird auch der Verwaltungsaufwand vermieden, zu überlegen, wem die Systemsoftware gehört und was man damit tun darf und was nicht.

Wenn Menschen für das Benutzen eines Programms einschließlich des Anfertigens von Kopien zahlen müssen, entstehen fürchterliche Kosten für die Gesellschaft durch den schwerfälligen Mechanismus, der notwendig ist, um herauszufinden für wie viel (d.h. für welche Programme) eine Person zahlen muß, und nur ein Polizeistaat kann jeden dazu zwingen, diese Verträge einzuhalten. Stellen Sie sich eine Raumstation vor, in der die Luft zu hohen Kosten hergestellt werden muß: Es mag fair sein, Atemluft pro verbrauchten Liter zu berechnen, aber das Tragen von Gasmasken mit Meßeinrichtungen – Tag und Nacht – ist intolerabel, selbst wenn der Luftpreis für jeden erschwinglich ist. Und allgegenwärtige Fernsehkameras, die überwachen, ob jemand die Maske abnimmt, sind abscheulich. Es ist besser, die Luftanlage durch eine Kopfsteuer zu finanzieren und die Masken wegzuwerfen.

Das ganze oder teilweise Kopieren eines Programms ist für einen Programmierer so natürlich wie Atmen – und so produktiv. Es sollte genauso frei sein.

Einige leicht zu entkräftende Einwände gegen die Ziele von GNU

„Niemand wird es benutzen, wenn es frei ist, weil dies bedeutet, daß Sie sich nicht auf Wartung verlassen können.“

„Sie müssen etwas für das Programm berechnen, um Service anbieten zu können.“

Wenn die Menschen lieber für GNU mit Service bezahlen, als GNU ohne Service frei zu erhalten, sollte eine Firma, die speziell diesen Service für Leute anbietet, die GNU frei erhalten haben, rentabel sein. (3)

Wir müssen zwischen Wartung in Gestalt von echter Programmierarbeit und Benutzerhilfe unterscheiden. Ersteres ist etwas, das Sie von einem Software-Händler nicht erwarten können: Wenn Ihr Problem nicht von genügend Leuten geteilt wird, wird der Händler Sie zum Teufel schicken.

Wenn Ihr Unternehmen darauf angewiesen ist, sich auf Wartung zu verlassen, ist der einzig gangbare Weg, alle nötigen Quelltexte und Werkzeuge vorliegen zu haben, denn dann können Sie jede verfügbare Person einstellen, Ihr Problem zu lösen, und sind nicht von der Gunst einer speziellen Person abhängig. Mit Unix ist dies infolge des hohen Preises der Quelltexte für die meisten Unternehmen unerschwinglich; mit GNU wird dies leicht sein. Es kann immer noch sein, daß keine kompetente Person zur Verfügung steht, aber dies liegt dann nicht an den Vertriebsbedingungen. GNU löst nicht alle Probleme der Welt, sondern nur bestimmte.

Gleichzeitig sind Anwender ohne Computerwissen auf Hilfe angewiesen: Dinge für sie erledigen, die sie leicht selbst tun könnten, aber nicht wissen, wie.

Derartige Dienste könnten von Firmen angeboten werden, die gerade solche Benutzerhilfen und Reparaturservice anbieten. Wenn es stimmt, daß Benutzer es vorziehen, für ein Produkt mit Service zu bezahlen, werden sie auch bereit sein, den Service zu bezahlen, während sie das Produkt frei erhalten haben. Die Serviceunternehmen werden in Qualität und Preis miteinander konkurrieren; die Benutzer werden nicht an ein spezielles gebunden sein. Gleichzeitig können diejenigen von uns, die den Service nicht benötigen, das Programm benutzen, ohne für den Service bezahlen zu müssen.

„Ohne Werbung können Sie nicht viele Leute erreichen, und Sie müssen etwas für das Programm berechnen, um dies zu ermöglichen.“

„Es ist nutzlos, für etwas zu werben, was man umsonst bekommen kann.“

Es gibt viele Formen kostenloser oder kostengünstiger Werbung, die dazu dienen kann, viele Computerbenutzer über so etwas wie GNU zu informieren. Es mag stimmen, daß man mehr Benutzer von Microcomputern durch Werbung erreichen kann; wenn dies so ist, sollte ein Unternehmen, das etwas für den Service des Kopierens und Verteilens von GNU berechnet, erfolgreich genug sein, um sich Werbung und mehr leisten zu können. Auf diese Weise zahlen auch nur diejenigen Benutzer für die Werbung, die von ihr profitieren.

Wenn andererseits viele Leute GNU von ihren Freunden erhalten und solche Unternehmen keinen Erfolg haben, zeigt dies, daß Werbung in Wirklichkeit gar nicht nötig war, um GNU zu verbreiten. Warum wollen die Vertreter der freien Marktwirtschaft nicht den freien Markt darüber entscheiden lassen? (4)

„Mein Unternehmen benötigt ein proprietäres Betriebssystem, um einen Wettbewerbsvorteil zu bekommen.“

GNU wird Betriebssystem-Software aus dem Bereich des Wettbewerbs entfernen. Sie werden keinen Vorteil auf diesem Gebiet erzielen können, aber umgekehrt wird auch Ihre Konkurrenz Sie nicht übervorteilen können. Sie werden auf anderen Gebieten in Wettbewerb treten, während Sie auf diesem Gebiet voneinander profitieren werden. Wenn Ihr Unternehmen vom Verkauf eines Betriebssystems lebt, werden Sie GNU nicht mögen, aber das ist Ihr Problem. Wenn Ihr Unternehmen anders ist, kann GNU Sie davor bewahren, in das teure Geschäft gedrängt zu werden, Betriebssysteme zu verkaufen.

Ich würde es gerne sehen, wenn viele Hersteller und Benutzer die Entwicklung von GNU durch Spenden unterstützen würden, um die Kosten für jeden einzelnen zu senken. (5)

„Verdienen nicht die Programmierer eine Belohnung für ihre Kreativität?“

Wenn irgendetwas eine Belohnung verdient, dann sind es soziale Beiträge. Kreativität kann ein sozialer Beitrag sein, aber nur, wenn die Gesellschaft die Freiheit hat, die Resultate zu nutzen. Wenn Programmierer eine Belohnung für das Schreiben innovativer Programme verdienen, müßten sie aus demselben Grunde bestraft werden, wenn sie die Nutzung dieser Programme einschränken.

„Sollte ein Programmierer nicht eine Belohnung für seine Kreativität verlangen dürfen?“

Es ist nichts Falsches darin, Bezahlung für Arbeit zu verlangen oder sein Einkommen maximieren zu wollen, solange man nicht destruktiv wird. Die zur Zeit auf diesem Gebiet gebräuchlichen Mittel basieren auf einer Form von Zerstörung.

Geld von Benutzern zu kassieren, indem man den Gebrauch eines Programms einschränkt, ist destruktiv, weil die Einschränkungen die Häufigkeit und die verschiedenen Weisen begrenzen, in denen das Programm benutzt werden könnte. Dies begrenzt den Reichtum, der aus dem Programm für die Menschheit entsteht. Die schädlichen Auswirkungen einer bewußten Beschränkung sind eine bewußte Form von Zerstörung.

Der Grund, weshalb ein guter Bürger derart destruktive Mittel nicht anwendet, um reich zu werden, ist, daß, wenn dies jeder täte, wir alle durch die wechselseitige Zerstörung ärmer würden. Dies ist Kantsche Ethik – oder das Gebot der Nächstenliebe. Die Konsequenzen, die daraus entstünden, daß ein jeder Information horten würde, gefallen mir nicht, daher sehe ich mich gezwungen, es für falsch zu befinden, wenn sich einer so verhält. Insbesondere begründet der Wunsch, für Kreativität belohnt zu werden, es nicht, die gesamte Welt all dieser Kreativität oder von Teilen davon zu berauben.

„Werden die Programmierer nicht verhungern?“

Ich könnte antworten, daß niemand gezwungen ist, ein Programmierer zu sein. Die meisten von uns könnten nicht davon leben, auf der Straße zu stehen und Possen zu reißen, aber wir sind deswegen noch lange nicht dazu verdammt, auf der Straße zu stehen, Possen zu reißen und zu verhungern – wir machen etwas anderes.

Aber dies ist die falsche Antwort, weil sie die implizite Annahme des Fragestellers akzeptiert, daß nämlich Programmierer keinen Pfennig erhalten würden, wenn es keinen Besitz von Software gibt. Es wird angenommen, daß es um „alles oder nichts“ geht.

Der wirkliche Grund, weshalb Programmierer nicht verhungern werden, ist, daß es für sie immer noch möglich sein wird, Geld für Programmierung zu erhalten, nur eben nicht so viel, wie dies im Moment der Fall ist.

Eingeschränktes Kopieren ist nicht die einzige geschäftliche Basis in Sachen Software. Es ist die üblichste Basis, weil sie am meisten Geld einbringt. Wäre diese Basis verboten oder würde sie von den Kunden abgelehnt, würde sich das Software-Geschäft auf andere organisatorische Grundlagen begeben, die zur Zeit weniger häufig verwendet werden. Es gibt immer viele Wege, Geschäfte zu organisieren.

Sicherlich wird das Programmieren auf dieser neuen Basis nicht so lukrativ sein, wie es jetzt ist, aber dies ist kein Argument gegen den Wechsel. Man betrachtet es im allgemeinen nicht als ungerecht, daß Verkäufer die Gehälter bekommen, die sie bekommen. Würden Programmierer die gleichen Gehälter beziehen, wäre dies ebenfalls nicht ungerecht. (In der Praxis werden sie auch weiterhin deutlich mehr beziehen.)

„Haben Menschen nicht das Recht, zu kontrollieren, wie ihre Ideen verwendet werden?“

„Kontrolle über den Gebrauch von Ideen“ konstituiert in Wirklichkeit Kontrolle über das Leben anderer Menschen, und sie wird normalerweise eingesetzt, um den Menschen das Leben schwerer zu machen.

Leute, die das Thema geistigen Eigentums sorgfältig studiert haben (z.B. Anwälte) sagen, daß es kein intrinsisches Recht auf intellektuelles Eigentum gibt. Die von der Regierung anerkannten Arten angenommenen intellektuellen Eigentums wurden durch spezielle Gesetze für spezielle Zwecke geschaffen.

Beispielsweise wurde das Patentsystem etabliert, um Erfinder zu ermutigen, die Details ihrer Erfindungen zu offenbaren. Der Sinn war eher der Gesellschaft zu helfen als dem Erfinder. Zu jener Zeit war die Lebensdauer von 17 Jahren für ein Patent klein verglichen mit der Geschwindigkeit des Fortschritts. Weil Patente nur für Hersteller ein Thema sind, für welche die Kosten und Mühen einer Lizenz klein verglichen mit den Produktionskosten sind, schaden Patente meistens nicht viel. Die meisten Einzelpersonen, die patentierte Produkte benutzen, werden dadurch nicht behindert.

Die Idee des Urheberrechts existierte früher nicht, als Autoren häufig andere Autoren in nicht-fiktionalen Werken kopierten. Diese Praxis war nützlich, und nur auf diesem Wege sind die Werke vieler Autoren wenigstens teilweise erhalten geblieben. Das System des Urheberrechts wurde ausdrücklich dafür entwickelt, Autorenschaft zu ermutigen. Auf dem Gebiet, für das es erfunden wurde – Bücher, die nur auf einer Druckerpresse auf ökonomische Weise vervielfältigt werden konnten – schadete es wenig, und die meisten Leser wurden dadurch nicht behindert.

Alle intellektuellen Eigentumsrechte wurden von der Gesellschaft lizensiert, weil man – richtig oder falsch – glaubte, daß die gesamte Gesellschaft von der Einführung dieser Rechte profitieren würde. In einer speziellen Situation jedoch müssen wir uns fragen, ob wir wirklich besser damit fahren, solche Rechte zu lizensieren. Welche Art von Handlungen erlauben wir den Personen?

Der Fall von Computerprogrammen heute ist sehr verschieden von dem von Büchern vor hundert Jahren. Die Tatsache, daß der einfachste Weg, ein Programm zu kopieren, von Nachbar zu Nachbar geht, die Tatsache, daß zu einem Programm sowohl Quelltext als auch Objectcode gehören, die verschieden sind, und die Tatsache, daß ein Programm benutzt und nicht gelesen und genossen wird, schaffen zusammen eine Situtation, in der eine Person, die ein Urheberrecht einfordert, der gesamten Gesellschaft sowohl materiellen als auch spirituellen Schaden zufügt – eine Situtation, in der eine Person kein Urheberrecht einfordern sollte, unabhängig davon, ob die Gesetze es ihr erlauben.

„Im Wettbewerb werden Dinge besser ausgeführt.“

Das Musterbeispiel eines Wettbewerbs ist ein Wettrennen: Indem wir den Gewinner belohnen, ermutigen wir jeden Teilnehmer, schneller zu laufen. Wenn der Kapitalismus tatsächlich auf diese Weise funktioniert, ist es gut, aber seine Befürworter haben Unrecht mit der Annahme, daß es immer so funktioniert. Wenn die Läufer vergessen, weshalb der Preis ausgesetzt wurde und unbedingt gewinnen wollen – egal wie –, entdecken sie vielleicht andere Strategien, zum Beispiel, andere Läufer anzugreifen. Wenn die Läufer in einen Faustkampf geraten, werden alle erst spät durchs Ziel gehen.

Proprietäre und geheime Software sind das moralische Äquivalent von Rennläufern in einem Faustkampf. Es ist traurig, daß sich der einzige vorhandene Schiedsrichter nicht um Faustkämpfe sorgt und sie lediglich reguliert („Pro zehn gelaufene Meter dürft ihr einen Schuß abfeuern“). Er sollte sie stattdessen auseinanderbringen und Läufer bereits für den Versuch eines Angriffs bestrafen.

„Wird ohne finanziellen Ansporn nicht jeder aufhören zu programmieren?“

Tatsächlich werden viele Menschen absolut ohne jeden finanziellen Ansporn programmieren. Das Programmieren übt eine unwiderstehliche Faszination auf manche Leute aus – normalerweise diejenigen Leute, die darin am besten sind. Es gibt keinen Mangel an Berufsmusikern, die bei ihrem Beruf bleiben, obwohl sie keinerlei Hoffnung haben, damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Aber in Wirklichkeit ist diese Frage, obwohl sie häufig gestellt wird, der Situation nicht angemessen. Die Bezahlung für Programmierer wird nicht verschwinden, sondern nur weniger werden. Die richtige Frage ist daher: Wird irgendjemand bei reduziertem finanziellen Ansporn programmieren? Meine Erfahrung zeigt, daß jemand es tun wird.

Vor über zehn Jahren haben einige der besten Programmierer der Welt im Artificial Intelligence Lab für weit weniger Geld gearbeitet, als sie anderswo hätten verdienen können. Sie erhielten nicht-finanzielle Belohnungen in vielerlei Art, zum Beispiel Berühmtheit und Dank. Außerdem ist die Kreativität selbst eine Freude, eine Belohnung für sich.

Dann geschah es, daß die meisten dieser Programmierer verschwanden, als sie eine Chance bekamen, dieselbe interessante Arbeit für viel Geld zu tun.

Die Tatsachen zeigen, daß Menschen aus anderen Gründen als Bereicherung programmieren werden, aber wenn man ihnen eine Möglichkeit gibt, außerdem noch viel Geld zu scheffeln, geschieht es, daß sie dieses Geld erwarten und verlangen. Niedriglohn-Organisationen machen sich schlecht neben Höchstlohn-Organisationen; dies entfällt, wenn die Höchstlohn-Organisationen verboten sind.

„Wir sind auf die Programmierer angewiesen. Wenn die verlangen, daß wir aufhören, unseren Nachbarn zu helfen, müssen wir nachgeben.“

Sie können niemals so verzweifelt sein, daß Sie derartigen Forderungen nachgeben müssen. Vergessen Sie nicht: Millionen für die Verteidigung – keinen Pfennig für Tribut!

„Programmierer müssen von irgendetwas leben.“

Kurzfristig existiert dieses Problem. Es gibt aber viele Wege, wie Programmierer ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ohne das Recht zu verkaufen, eine Programm zu benutzen. Der derzeitige Weg ist üblich, weil er Programmierern und Geschäftsleuten das meiste Geld einbringt und nicht, weil es der einzige Weg ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es ist leicht, andere Wege zu finden, wenn man sie sucht; einige Beispiele folgen.

Ein Computerhersteller, der einen neuen Computer einführt, zahlt für die Portierung des Betriebssystems auf die neue Hardware.

Programmierer können in der Schulung, Benutzerhilfe und Wartung unterkommen.

Leute mit neuen Ideen können Programme als FreeWare verteilen und zufriedene Benutzer um Spenden bitten oder Benutzerhilfen anbieten. Ich bin einigen Leuten begegnet, die bereits erfolgreich in dieser Weise arbeiten.

Benutzer mit ähnlichen Bedürfnissen können Interessensgemeinschaften bilden und Beiträge zahlen. Die Gruppe würde dann Programmierfirmen damit beauftragen, Programme zu schreiben, die die Mitglieder gerne benutzen würden.

Alle Arten von Weiterentwicklung könnten durch eine Software-Steuer finanziert werden:

Stellen wir uns vor, jeder, der einen Computer kauft, muß x Prozent des Preises an Software-Steuer entrichten. Die Regierung gibt dieses Geld einer Agentur wie der NSF, um es für Software-Entwicklung einzusetzen.

Wenn allerdings der Computerkäufer selbst für Software-Entwicklung spendet, wird die Spende mit der Software-Steuer verrechnet. Er kann für das Projekt seiner Wahl spenden – häufig in der Hoffnung ausgewählt, das Ergebnis benutzen zu können. Er kann beliebig hohe Spenden anrechnen lassen bis hin zum Gesamtvolumen der zu zahlenden Steuer.

Der Steuersatz könnte durch die Steuerzahler selbst durch Wahl festgelegt werden, gewichtet gemäß der Menge der zu zahlenden Steuer.

Die Konsequenzen:

Auf lange Sicht ist das Freigeben von Programmen ein Schritt in Richtung einer Welt ohne Mangel, in der niemand hart arbeiten muß, um sein Leben zu bestreiten. Die Menschen werden frei sein, sich Aktivitäten zu widmen, die Freude machen, zum Beispiel Programmieren, nachdem sie zehn Stunden pro Woche mit notwendigen Aufgaben wie Verwaltung, Familienberatung, Reparatur von Robotern und der Beobachtung von Asteroiden verbracht haben. Es wird keine Notwendigkeit geben, von Programmierung zu leben.

Wir haben bereits die Menge an Arbeit, welche die Gesellschaft für ihre Produktivität aufbringen muß, gewaltig reduzieren können, aber nur ein kleiner Teil davon übertrug sich in mehr Freizeit für Arbeiter, weil jede produktive Aktivität zwangsläufig von viel unproduktiver Aktivität begleitet wird. Die Hauptursache hierfür ist Bürokratie und gegenseitiges Bekämpfen, ohne dabei voran zu kommen, anstelle von Wettbewerb. Freie Software wird diese Auswüchse auf dem Gebiet der Software-Entwicklung in großartiger Weise reduzieren. Wir müssen so handeln, um technische Fortschritte in Sachen Produktivität zu erzielen, die sich in weniger Arbeit für uns alle äußern werden.


Fußnoten:

(1)
Diese Wortwahl war ein wenig sorglos. Die Absicht war, daß niemand für die Erlaubnis zahlen muß, das GNU-System zu benutzen. Diees geht jedoch nicht aus der Formulierung hervor, und man interpretiert dies häufig so, daß Kopien von GNU stets gegen kein oder höchstens geringes Entgelt verteilt werden sollen. Dies war niemals die Absicht; weiter unten erwähnt das Manifest die Möglichkeit für Firmen, GNU gegen Bezahlung zu verteilen. Später habe ich es gelernt, sorgfältig zwischen „frei“ im Sinne von „Freiheit“ und „frei“ im Sinne von „Preis“ zu unterscheiden. Freie Software ist Software, deren Benutzer die Freiheit haben, sie weiterzugeben und zu verändern. Manche werden ihre Kopien gratis erhalten, während andere dafür bezahlen werden – und wenn diese Geldsumme dazu beiträgt, die Software weiter zu verbessern, um so besser. Wichtig ist, daß jeder, der eine Kopie hat, auch die Freiheit hat, beim Gebrauch dieser Kopie mit anderen zu kooperieren.
(2)
Dies ist eine weitere Stelle, an der ich versämut habe, sorgfältig zwischen den beiden verschiedenen Bedeutungen von „frei“ zu unterscheiden. So, wie der Satz geschrieben ist, ist er nicht falsch – Sie können Kopien von GNU-Software kostenlos von Ihren Freunden oder über das Netz erhalten –, aber er suggeriert die falsche Idee.
(3)
Inzwischen gibt es mehrere solche Firmen.
(4)
Die Free Software Foundation bezieht den größten Teil ihres Kapitals von einem solchen Verteilungsservice, obwohl sie eher eine caritative Einrichtung als eine Firma ist. Wenn sich niemand dafür entscheidet, seine Kopien von der FSF zu beziehen, wird diese ihre Arbeit nicht machen können. Dies bedeutet nicht, daß proprietäre Einschränkungen gemacht werden sollten, um jeden Benutzer zum Bezahlen zu zwingen; wenn ein kleiner Bruchteil aller Benutzer seine Kopien von der FSF bezieht, genügt dies, die FSF flüssig zu halten. Daher bitten wir Benutzer in dieser Weise um ihre Unterstützung. Haben Sie Ihren Teil bereits geleistet?
(5)
Eine Gruppe von Computerunternehmen hat vor kurzem Kapital angesammelt, um die Wartung des GNU-C-Compilers zu unterstützen.

* * *

Copyright-Notiz des englischsprachigen Orignals:
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Übersetzung:
Es ist jedem gestattet, unveränderte Kopien dieses Dokuments in beliebigen Medien anzufertigen oder weiterzugeben, vorausgesetzt, daß diese Copyright-Notiz und diese Erlaubnis erhalten bleiben und daß der Distributor den Empfängern das Recht zur Weiterverbreitung im Sinne dieser Erlaubnis gewährt.
Veränderte Versionen dürfen nicht erstellt werden.